Wegweisender Fortschritt
Bereits 1959 kommt Joop de Boer die Idee zu einem Plattenspieler, bei dem sich der Motor nicht unter, sondern neben dem Teller befindet. Damit nicht genug: Mitten in der Blütezeit des Reibrads plant de Boer, den Teller am Außenrand durch einen langen Gummiriemen anzutreiben. Ob Jobo oder später Acoustical – die fortschrittlichen Laufwerke aus s’Graveland haben einen ganz eigenen Charakter …
Auffälligstes Merkmal des niederländischen Plattenspielers ist die silbergraue Blende mit dem großen Stroboskopfenster, die sich um den Teller zieht und dem Laufwerk ein elegantes Aussehen verleiht. Über diese Verkleidung ragt nur die mit konzentrischen Wülsten versehene Gummiauflage hinaus.
Als das Zurschaustellen von Technik noch nicht üblich ist, sieht der Hersteller die Notwendigkeit, die Art der Kraftübertragung vor den Augen des Benutzers zu verbergen. Interessant ist diese vor über 60 Jahren allemal!
Nach Entfernen der Sichtblende offenbart sich der Riemenatrieb am Außenrand des Plattentellers. Der Schlitten dient zum Umschalten zwischen den Drehzahlen
Zwar existiert in den Vereinigten Staaten bereits seit 1954 ein Laufwerk mit Antrieb per Riemen – der allerdings hier noch aus einer Leinenschnur besteht.
Die Components Corporation aus Denville im US-Bundesstaat New Jersey stellt schon 1954 den ersten Riemen-Plattenspieler der Fachwelt vor
Am Beginn der 1960er Jahre bringen Acoustic Research, Empire und Rek-O-Kut dann Plattenspieler mit Antrieb per Gummiriemen auf den Markt.
Hier verdeutlicht ein Hersteller die dämpfende Wirkung des Gummiriemens, der Vibrationen des Antriebsmotors vom Plattenteller fernhält
Doch in Europa kommt damals niemand auf die Idee eines Riemenantriebs. Deshalb kann die Konstruktion von de Boer 1959 als Vorreiter, ja als wegweisend gelten !
Denn im Zeitalter des High End arbeiten ja die meisten Plattenspieler wie selbstverständlich mit Antrieb über Riemen und einem neben dem Teller platzierten Motor.
Start mit Zigarettenstopfmaschinen
Das „Technische Konstruktions- und Handelsbüro Jobo“ in Amsterdam – benannt nach den beiden ersten Buchstaben des Vor- und Nachnamens von Joop de Boer – stellt schon seit 1946 Plattenspieler der Marken Jobophon und Joboton her. Gegründet wird die kleine Firma aber bereits im Juli 1944 – ursprünglich zur Herstellung von Zigarettenstopfmaschinen für den Hausgebrauch.
Das von Joop de Boer entwickelte semiprofessionelle Modell Jobo 2600 für die neuen, anspruchsvollen Stereoschallplatten kommt im September 1960 auf den Markt. Ausgestattet ist der Spieler aus Amsterdam mit dem All Balance-Werkstonarm 2400
In den Niederlanden wird der Jobo von der dortigen Grundig-Vertretung, in Deutschland von Garrard Audioson in Frankfurt und in den USA von der Sonograf Electric Company in New York vertrieben. Auch in der Schweiz ist der niederländische Plattenspieler schon Anfang der 1960er Jahre unter HiFi-Experten bekannt.
Außergewöhnliche Details
Der Jobo 2600 hat einen Teller mit vollen 30 cm Durchmesser, die drei Geschwindigkeiten 33 ⅓, 45 und 78 U/min sowie eine ungewöhnliche Wirbelstrombremse zur Feinregulierung der Drehzahl.
Die Bremse wird mit zwei (!) Hebeln an der linken vorderen Ecke des Chassis bedient. Sie verändern auf eine Aluminiumscheibe wirkende Magnete in ihrer Lage. Beide haben den gleichen Effekt und addieren sich in ihrer Wirkung
Den All Balance-Tonarm mit dem Waage-Symbol bietet Jobo auch einzeln für Laufwerke anderer Hersteller an. Von einem Londoner Importeur ist der holländische Tonarm in Großbritannien erhältlich
Auf einem Thorens-Laufwerk TD 121 macht der All Balance 2400 ebenfalls gute Figur
Sehr eigenwillig der Tonkopf im Art-déco-Stil aus schwarzem oder weißem Kunststoff: Der stromlinienförmige Kopf verjüngt sich nach hinten zu einem scharfen Sporn, der an ein Vogelbein erinnert
Holländische Anzeige des All Balance: Die Darstellung rechts zeigt, dass der „gyroscopisch“ gelagerte, in allen Richtungen statisch ausbalancierte Tonarm in jeder Lage des Plattenspielers sicher abtastet
Funktion des Jobo – hier mit weißem Tonkopf – auch in Schräglage
Eine weitere Besonderheit ist der patentierte Pick-up Geleider – zu Deutsch „Tonarmdirigent“. Mit seinem Anschlag in drei Rastschritten lässt sich der Tonarm sicher an die Anfangsrille der Plattengrößen 17, 25 und 30 cm führen
Der Preis für den Jobo 2600 mit All-Balance-Tonarm, aber ohne Tonabnehmer, beträgt als Einbaumodell 275 Gulden. Ähnlich wie Thorens den TD 121 bietet auch Jobo eine „Sparausführung“ an: Der Jobo 2500 ohne Lift und Tonarm-Anschlag kostet 245 Gulden.
Isaac Stern, einer der bedeutendsten Geiger des 20. Jahrhunderts, schätzt in seinem Heim in New York die Wiedergabe von Schallplatten über seinen Jobo 2600. Mit der Marantz-Vorstufe Model 7 und dem Tuner 10 B befindet sich der Holland-Spieler in guter Gesellschaft
All Balance 2700 für Studiobetrieb
Jobo/Acoustical bietet seinen Tonarm als – heute extrem seltene – Zwölfzoll-Ausführung 2700 mit einer effektiven Länge von 309 mm für die Wiedergabe von 16-Zoll-Transkriptionsschallplatten an.
Der All Balance 2700 – hier an einem Thorens TD 124 – unterstreicht, welch professionellen Anspruch die Niederländer mit ihrem Plattenspieler von Anbeginn erheben
Zusammen mit allen Vorteilen der All Balance-Konstruktion hat das Modell 2700 einen noch günstigeren Tangentialfehler – maximal 1 Grad.
All Balance 2700 bei Radio Veronica: Rundfunkmoderator Jurg van Beem schätzt den Studiotonarm – der dank Erzeugung der Auflagekraft durch Feder „seegängig“ ist. Schlingern des vor dem Seebad Scheveningen verankerten Sendeschiffs „Norderney“ bringt ihn nicht aus der Rille
Wegfall der Tourenzahl 78
1962 wird das Laufwerk überarbeitet. Das jetzt Jobo 2800 genannte Modell ist auch in einer breiteren Zarge zur Aufnahme von Zwölfzoll-Tonarmen wie SME 3012 erhältlich.
Verkaufsprospekt des Jobo 2800
Ab dem Jobo 2800 verwendet der Hersteller einen besseren Antriebsmotor von Papst – selbst ernannte Experten schreiben gern „Pabst“. Der sechspolige Kondensator-Außenläufermotor dreht mit 950 U/min
Vor allem aber entfällt beim Jobo 2800 die 78er Geschwindigkeit:
Nachdem die Herstellung von Schellackplatten in Europa erst vor vier Jahren ausgelaufen ist und andere Hersteller ihre dreitourigen Plattenspieler um die vierte Drehzahl 16 ⅔ U/min ergänzt haben, bedeutet dies eine mutige Entscheidung.
Der Entschluss, den Jobo nur noch zweitourig auszulegen, zeigt einmal mehr, wie modern und zukunftsgerichtet das Denken von Joop de Boer ist.
Als „ultimative Plattenspieler-Konstruktion“ bezeichnet der neue englische Importeur Colton Products aus der britischen Landeshauptstadt den Jobo 2800
Hervorzuheben am Jobo ist aber nicht nur der hochmoderne Antrieb, sondern auch die großzügige Ausstattung, die einen Vergleich mit dem deutlich teureren Thorens TD 124 kaum zu scheuen braucht. So besitzt der Holländer ebenfalls eine in die Platine eingelassene Kreislibelle – hier allerdings ohne Rändelschrauben zur einfachen Nivellierung des Chassis.
Clou ist der praktische, fest installierte Puck für Single-Schallplatten mit großem Mittelloch. Dieser Puck muss noch nicht einmal wie beim TD 124 durch Niederdrücken und Drehen im Uhrzeigersinn entriegelt werden. Beim Auflegen einer LP auf den Teller versenkt sich der Puck ganz automatisch.
Das beste Leuchtstroboskop
Darüber hinaus wartet der Jobo mit dem besten Leuchtstroboskop seiner Zeit auf. Kein Vergleich mit dem zu klein geratenen Schachtausschnitt und der schwachen Glimmlampe des Thorens TD 124, ein Nachteil des sonst so hervorragenden Schweizers. Auch ist der Regelbereich des Jobo-Stroboskops mit ± 6 % recht großzügig bemessen.
Das Stroboskop ist dank des großen, Außenlicht gut abschirmenden Schachtes und gleich zweier Neonlampen auch bei Tag und ohne Spiegelungen ablesbar
Zum Vergleich das trübe und zu kleine Stroboskop des Thorens TD 124
Ein Besitzer des holländischen Laufwerks schwärmt von dem außergewöhnlich großen und hellen Stroboskop:
„Das elegant geformte Glasfenster mit den tieferliegenden Tellermarkierungen, die von den Glühlämpchen in ein sattes Kaminfeuerrot getaucht werden – einfach großartig.“
Ein anderer lobt die Ausführung des Stroboskopkastens aus dickem Blech mit hochglanzpoliertem Metallspiegel:
„Man könnte meinen, es handele sich um den Teil eines Röntgengeräts.“
Ein dritter bekennt salopp:
„Das Stroboskop war der Grund, warum ich den Plattenspieler mitnehmen musste. Was ich da an Land gezogen hatte, begriff ich erst viel später. Es war nur sehr wenig im Netz über das Laufwerk zu finden. Mit jedem Hinweis wuchs die Begeisterung.“
Übernahme durch Acoustical
Zum 1. Juli 1962 verkaufen die Brüder de Boer ihre Sechs-Mann-Firma Jobo an den mit ihnen befreundeten Adolf Frerik Don (1907-1987), der sein Unternehmen Acoustical bereits 1953 gegründet und dieses später seinem Sohn Meindert Don (*1956) übertragen hat.
Der Name sagt es: Acoustical handelt mit HiFi-Produkten
Acoustical vertreibt aus den Niederlanden die Tonabnehmer von Ronette und die Tonarme von Jobo sowie aus Großbritannien Pickups von Acos sowie Verstärker und Lautsprecher von Quad.
Verkaufsbüro von Acoustical in Amsterdam, James-Watt-Straat 60-62: Heute dienen die drei Geschäftsräume zu Wohnzwecken
Auf dieser historischen Aufnahme ist der Schriftzug Acoustical über dem Schaufenster noch zu erkennen
Vor allem aber lebt Acoustical vom Vertrieb der dänischen Triotrack-Plattenspieler in Holland. Der Name „Triotrack“ leitet sich von den drei Drehzahlen ab, mit denen diese Spieler arbeiten. Als im allgemeinen Trend die vierte Drehzahl 16 ⅔ U/min hinzukommt, bleibt es bei dem inzwischen eingeführten Markennamen.
Diese Konsumklassegeräte werden als Chassis, komplette Plattenspieler oder als Koffermodelle mit eingebautem Verstärker verkauft. Beliebt sind Triotrack-Einbauchassis als Vorführgeräte in Schallplattengeschäften.
Wer in den Niederlanden in der Schallplatten-Branche etwas auf sich hält, kauft seine Phonobar bei Acoustical
Produziert werden die Triotracks mit Kristallsystemen von Ronette bei der Kopenhagener Firma Skandinavisk Radio & Television A/S (SRT), die auch die Spieler von Bang & Olufsen baut und später von diesem Unternehmen übernommen wird.
Acoustical ist offizieller Importeur der HiFi-Geräte von Bang & Olufsen in den Niederlanden. Umgekehrt verbaut SRT auf seinen Plattenspielermodellen 605 und 655 den All Balance-Tonarm. Zwischen B&O und SRT in Dänemark und Acoustical in den Niederlanden besteht über lange Zeit eine Dreierbeziehung.
Produktion in Bussum
Nach der Firmenübernahme wird der Jobo 2800 in Bussum in der Nähe von Hilversum gebaut, wo Acoustical in einer freundlichen Villengegend unter der Adresse Generaal de la Reijlaan 29 bereits eine kleine Fertigung unterhält.
„Die Antriebsriemen haben wir von Hand hergestellt“, erinnert sich Wim van den Hurk an seinen Arbeitsplatz bei Acoustical-Jobo – und ergänzt, dass die Stroboskopmarkierungen mit verdünntem Lösemittel auf der Unterseite des Plattentellers aufgebracht wurden. „Sehr ungesund“, schmunzelt er, „aber wir haben’s überlebt“.
Im Sommer 1963 verlagert Acoustical Büros, Fertigung, Lager, Versand und den Technischen Service nach Kortenhoef, Teil von ’s-Graveland und ebenfalls in der Nähe von Hilversum gelegen. Das Verkaufsbüro verbleibt in Amsterdam.
Nach der Firmenübernahme behält der holländische Plattenspieler zunächst noch seinen eingeführten Markennamen Jobo. 1965 wird er in Acoustical umbenannt. Das Jobo-Emblem auf der hinteren linken Ecke des Chassis weicht dem Schriftzug „Acoustical 2800“.
Auch zum Einbau in Möbel ist das Laufwerk lieferbar; ebenso mit Zarge, aber ohne Tonarm unter der Bezeichnung Acoustical 2800-S
Zeitgleich mit der Umbenennung werden die Möglichkeiten zur Ausrüstung des Laufwerks mit hochwertigen Tonarmen anderer Hersteller erweitert, so mit SME 3009 und Micro MA-77.
Auf der breiteren Zarge ist außer dem bisher schon lieferbaren SME 3012 der längere Bruder des japanischen MA-77 mit der Bezeichnung Micro MA-88 erhältlich, der mit dem Tonarmlift Ortofon Hi-Jack Mk. IV kombiniert wird
Deutschland-Vertrieb Hilton Sound
1966 übernimmt der Importeur Hilton Sound, der seinen Sitz in Hemmerden bei Neuss hat, den Acoustical-Vertrieb in Deutschland. Fortan tragen die bei uns verkauften Acoustical-Plattenspieler das Schild „Hilton Sound“ links unten an der Zargenfront.
„Die Acoustical-Laufwerke der Studio-Serie sind Präzisionserzeugnisse, die von anderen Laufwerken der HiFi-Klasse kaum erreicht werden“, schreibt Firmenchef Hubert Hilgers in einem Informationsblatt. „Acoustical-Laufwerke haben sich bereits im professionellen Gebrauch bestens bewährt. Ihr Aufbau ist bewusst einfach gehalten und damit wartungsarm.“
1966 schaltet Hilton Sound für den Acoustical 2800 eine Anzeige in den deutschen HiFi-Zeitschriften. Die Redaktionen von fono forum und HiFi-Stereophonie erhalten ein Exemplar zum Test. „Für 465 DM mit Zarge erhält man ein zuverlässiges und formschönes Gerät mit ausgezeichneten Eigenschaften und hohem Bedienungskomfort“, lobt Chefredakteur Karl Breh den Holländer. „Aufgrund seiner einfachen Bauweise darf man geringe Störanfälligkeit und hohe Lebensdauer erwarten“
„Ein Laufwerk dieser einfachen Bauart muss bei sorgfältiger Herstellung gute Rumpelwerte aufweisen“, schreibt Breh in dem Testbericht vom Oktober 1966. Als Fremdspannungsabstand ermittelt das Labor stattliche – 45 dB, der Geräuschspannungsabstand liegt bei – 57 dB. Diese Werte sichern dem Testkandidaten unter seinen reibradgetriebenen Konkurrenten einen Spitzenplatz.
Im fono forum (Heft 5/1967) äußert sich Paul Thomas ebenfalls lobend: „Das Laufwerk zeichnet sich durch hervorragende Ruhe und besten Gleichlauf aus. Der Motor ist wirkungsvoll abgeschirmt. Die Laufgeräusche selbst sind praktisch nicht vorhanden.“
Letzte Entwicklungsstufe
1968 stellt Acoustical das äußerlich nur wenig veränderte, aber technisch nochmals weiterentwickelte Modell 3100 der Fachwelt vor.
Die Tellermatte des Acoustical 3100 hat nur noch drei einzelne Ringe für die damals gängigen Plattendurchmesser. Die silbergraue Blende besteht jetzt aus Aluminium statt aus lackiertem Stahlblech und hat dadurch ein eleganteres Finish
Wichtigster Fortschritt ist die Drehzahlfeinregulierung, die jetzt nicht mehr mittels magnetischer Wirbelstrombremse, sondern elektronisch erfolgt.
Das Chassis des Acoustical 3100 ist an den Außenseiten kantiger und hat etwas größere Abmessungen. Der gewonnene Platz kommt der besseren Unterbringung des All Balance zugute
Der 1,6 Kilogramm schwere Plattenteller des Acoustical 3100 aus antimagnetischem Material, das als „Multi-Pertinax“ oder „Novotex“ bezeichnet wird, dreht sich mit seiner polierten Stahlachse auf einem Nylonlager.
Neu am Tonarm ist ein Driftausgleich, der sich durch Verschieben eines Gewichts auf einem skalierten Hebelarm einstellen lässt. Unpraktisch der Drehkopf am jetzt hydraulisch gedämpften Lift. Er gibt der Armstütze nur im Spielbereich einer Schallplatte Halt
„Es wäre dringend zu wünschen, dass diese Ablage durch einen Ausleger wieder zur Bank würde“, schreibt Peter Lux in einem Testbericht des Acoustical 3100 (fono forum 9/1968). „Man muss jetzt sehr aufpassen, dass einem der Arm beim Herausnehmen aus der Ruhestütze nicht aus den Fingern rutscht und die Spitze des Tonabnehmers auf dem Chassis aufschlägt.“
Ein Ratschlag, den der Hersteller offenbar beherzigt. Acoustical hat die Ausführung des 3100 immer wieder variiert. So gibt es auch Versionen mit konventioneller Liftbank.
Als „echten Verkaufserfolg“ bezeichnet Hilton Sound den Plattenspieler Acoustical 3100, den der Importeur auf der ersten deutschen HiFi-Messe 1968 in Düsseldorf vorstellt
Gestrichen werden schon bald nach Einführung des neuen Laufwerks die kaum verlangten, auf dem Vorgängermodell 2800 noch angebotenen japanischen Tonarme – der Micro MA-77 und, in breiter Zarge, der Micro MA-88 mit Ortofon Hi-Jack.
Der Studiotonarm All Balance 2700 ist weiter im Programm – wenn auch die Verkäufe davon nur minimal gewesen sein dürften. Wer sich den Acoustical in breiter Zarge leisten kann, bevorzugt den SME 3012.
„Vollfettstufe“ des Acoustical 3100 mit SME-Tonarm 3012-R : Die Sonderausführung der Luxus-Zarge mit Haubenscharnier als Klavierband hat Schreinermeister Andreas Kirschner anhand eines alten Fotos für mich nachgefertigt
Als Acoustical 3100/SG ist das Laufwerk mit breiter Zarge auch für lange Tonarme anderer Hersteller lieferbar, dessen Auswahl und Montage auf dem schwarzen seitlichen Holzbrett dem Käufer überlassen bleibt
Weil zu der Zeit 25-cm-LPs keine Rolle mehr spielen und auch 17-cm-Singles immer seltener aufgelegt werden, liefert Acoustical beim All Balance den Tonarm-Anschlag nur noch auf Wunsch und gegen Mehrpreis.
In Dänemark verkauft Bang & Olufsen das Acoustical-Laufwerk 3100 mit dem eigenen Neunzoll-Tonarm ST/L, Tonabnehmer SP 2 und Zarge als „Beogram 3000“
Hier steht der Beogram 3000 neben dem Röhrenverstärker 608 von B&O. Typisch das Diagramm auf der Frontplatte, das den Frequenzgang des Verstärkers sichtbar macht
1971 nimmt Hilton Sound als Alternative zum All Balance den vielfach bewährten und vertrauten Tonarm des Lenco L 75 als Modell 3100/L mit ins Programm. „Diese Neukonstruktion ist eine Sonderanfertigung speziell für den deutschen Markt“, schreibt der Importeur.
„Der verwendete Arm ist ein Präzisions-Instrument aus schweizerischer Produktion mit allen Schikanen“
Offenbar verspricht man sich in Hemmerden davon in der preiswertesten Version des Acoustical bessere Verkäufe als mit dem relativ unbekannten niederländischen Tonarm.
Vertriebswechsel nach Köln
1972 übernimmt der Kölner Michael Geschka den Vertrieb der Acoustical-Plattenspieler in Deutschland. Generalvertreter für die Schweiz ist der bekannte Züricher HiFi-Händler Arnold Bopp.
Zu dieser Zeit wird die ohnehin schon breite Angebotspalette beim Acoustical 3100 weiter ausgebaut. Erhältlich ab Werk sind jetzt auch Exemplare mit dem geschwungenen dänischen Tonarm Ortofon AS 212 als Typ 3100/AS sowie mit dem filigranen Grace G-840 „Multimaster“ des japanischen Herstellers Shinagawa Musen als Typ 3100/GR; außerdem alle Modelle „zu einem sehr günstigen Blockpreis“ mit bereits fertig eingebauten Tonabnehmern von Shure.
Zwei besondere Rollen kann Acoustical für sich in Anspruch nehmen: Erstens die Zusammenarbeit mit japanischen Zulieferern (Micro Seiki, Grace) zu einer Zeit, als dies in Europa längst noch nicht üblich war. Zweitens offerierte Acoustical für sein Laufwerk die größte Auswahl an werksseitig vormontierten Fremdtonarmen
„Der japanische Tonarm sieht wesentlich eleganter und kostspieliger aus als der etwas robust wirkende All Balance“, schreibt Karl Breh über den geschwungenen Grace G-840 in der HiFi-Stereophonie (Heft 3/1972).
Im Abtastverhalten erweist sich der Grace G-840 nur wenig schlechter als der damals viel gelobte Tangential-Tonarm Rabco SL-8
Noch ein Facelift
In seiner letzten Bauphase wird der Acoustical 3100 äußerlich leicht überarbeitet. Dabei entfällt der Auflagering für 25 cm-LPs auf der Tellermatte.
Diese späten Acoustical 3100 sind an der geänderten Gummiauflage mit vergrößerter Tellerblende, dem Gegengewicht in Silber sowie dem neu gestalteten Tonkopf zu erkennen
Die zuletzt produzierte Ausführung des All Balance-Tonkopfs mit der Modellbezeichnung 550 trägt auf der Oberseite eine Aluminiumblende mit Acoustical-Schriftzug und einen Fixpunkt für die optimale Nadelposition.
Tonkopf 550 und auffallend massiver Lifthebel – den habe ich noch an keinem anderen Acoustical 3100 gesehen
Ungewöhnlich ist die Chromblende bei diesem späten 3100, die um die Zarge läuft. Ein Acoustical wie dieser ist mir bisher nicht wieder begegnet
„Mein Herz hängt an dieser seltenen Ausführung“, bekennt der stolze Besitzer Alexander Ischner
Lieferung per Nachnahme
Die Verkäufe von Michael Geschka bleiben aber trotz Ausweitung des Angebots auf nunmehr sieben Tonarm-Ausführungen hinter der Erwartung zurück. Um den Absatz anzukurbeln, werden die ohnehin relativ günstigen Studio-Plattenspieler von Acoustical jetzt als „Preissensation“ beworben.
„Diskotheken, Schulen und Großabnehmern bieten wir Sonderpreise“
Zu der Zeit hat der Kölner im Einzelhandel für das niederländische Fabrikat gar keine Vertriebspartner mehr, denn verkauft wird direkt an Endkunden: „Der Versand erfolgt unfrei gegen Vorkasse oder Nachnahme.“
Der Acoustical 3100 mit All Balance-Tonarm ist nun zum Kampfpreis von 399 DM inklusive Zarge und Haube, zuzüglich Tonabnehmer erhältlich. Für die Luxusversion mit dem langen SME, dessen Ladenpreis allein schon 398 DM beträgt, werden inklusive breiter Zarge und einer jetzt lieferbaren breiten Haube schmale 709 DM verlangt. Im Bild die Version mit dem Grace-Tonarm G-840
Geschka hatte Restbestände des SME 3012/II, dessen Produktion ausgelaufen war, günstig dazukaufen können. Auch den Reibrad-Veteranen Garrard 401 mit langem SME und entsprechender Spezialzarge und -haube gibt es von Boyd & Haas in Deutschland damals für kurze Zeit zu einem äußerst attraktiven Paketpreis.
Einstellung der Produktion
1974 wird unter dem Dach von Acoustical für den Handel mit B&O-Produkten eine eigene Division gegründet. Im gleichen Jahr endet die Produktion des Plattenlaufwerks, das ebenso wie der EMT 930 (mit All Balance-Tonarm!) beim niederländischen Rundfunk und auch in Diskotheken Verwendung fand.
„Ich bekam damals aus Kortenhoef die überraschende Nachricht, dass der 3100 nicht mehr lieferbar ist“, erinnert sich Geschka. Die immer stärkere Thorens-Konkurrenz aus Lahr dürfte bei der Entscheidung eine Rolle gespielt haben, die zahlenmäßig nicht sehr bedeutende und arbeitsintensive Fertigung von Plattenspielern aufzugeben.
Übrigens: Der einzige im Land der Windmühlen hergestellte PKW der Van Doorne’s Automobiel Fabriek N.V. wird etwa zur gleichen Zeit Opfer zu geringer Stückzahlen. Mit seinem stufenlosen automatischen Getriebe – er kann damit rückwärts genauso schnell wie vorwärts fahren – weist der „DAF“ ebenfalls ein interessantes technisches Detail auf. In Deutschland wird der narrensicher zu bedienende Kleinwagen allerdings als „Rentner- und Hausfrauenauto“ verspottet.
Recht gering sind die Produktionszahlen des Jobo gewesen. „Aber auch von den beiden Acoustical-Modellen 2800 und 3100 wurden nicht mehr als etwa 2000 Stück hergestellt“, will Wim van den Hurk wissen. Eine Zahl, die zwar auch vom niederländischen Grammofoon-Club verbreitet wird, die mir aber doch sehr niedrig erscheint.
Eine andere Quelle spricht von 5000 bis 6000 Exemplaren – was immer noch ziemlich bescheiden wäre. Immerhin brüstet sich Acoustical 1972 in einem Prospekt damit, seine Erzeugnisse sogar nach Australien, Südafrika, Thailand, Hong Kong, Japan, Surinam und den Niederländischen Antillen zu liefern.
„Die Kaufzurückhaltung war eigentlich nicht gerechtfertigt“, meint Max Ramali vom Niederländischen Grammofoon-Club:
„Wenn der Papst-Motor gut in seiner Dämpfung hängt, läuft der Acoustical phantastisch. Mein 3100 mit Grace-Tonarm G-840 kann sich auch mit modernen, viel teureren Konstruktionen messen. Einzig die einfache Zarge des Spielers mit dünner Plastikwanne, die zum Verziehen neigt, und die winzigen Gummifüße bedürfen einer besseren, neuzeitlichen Lösung.“
Ziemlich vage fielen die Antworten auf meine Frage nach dem wenig bekannten und selten angebotenen Acoustical-Plattenspieler in einem Internet-Forum aus.
Andreas aus Hamburg schrieb:
„Im Musiksaal meiner alten Schule stand ein 3100 mit All Balance-Arm an einem Röhren-Receiver von Kenwood und mir unbekannten Lautsprechern. Meine damalige Kombination erreichte nie diese Klangqualität – bei weitem nicht. Ich denke mal, so schlecht wird der Acoustical nicht sein.“
Erhard aus Braunschweig meinte:
„Unterm Strich sicher ein Laufwerk mit Tuningpotenzial und sehr robust.“
Und Hartmut aus München mailte:
„Das Attraktive an den Acousticals ist der Aufbau − kräftiger Motor, Lager und Teller wahrscheinlich gut konstruiert, kein Subchassis. Das müsste doch abgehen wie Harry …“
Preisgünstiger Einstieg
Lange Zeit war so ein Acoustical für kaum mehr als 100 Euro zu haben. Doch seit einigen Jahren ziehen die Gebrauchtpreise für die attraktiven Spieler deutlich an – zum Leidwesen der Bastlerfraktion. Gesucht sind vor allem gepflegte Geräte im Originalzustand, keine „Baustellen“.
Diesen Acoustical 3100 mit SME 3009 erwarb ich vor 15 Jahren von Klaus Haßler für günstige 650 Euro. Der Tonarm war allerdings revisionsbedürftig – das hat Peter Feldmann erledigt. Die Hilton-Zarge in Palisander-Ausführung taucht nur selten auf
Klaus Haßler aus Hilchenbach im Siegerland handelte mit gepflegten HiFi-Klassikern und unterstützte SCHWEIZER PRÄZISION mit Fotos von seinem Shure Dynetic Tonarm auf Thorens TD 124. Haßler, Jahrgang 1963, starb 2018
Zu den beliebten Modifikationen am Acoustical gehört das Entfernen der Blende und der Betrieb des Plattenspielers, um ihm einen highendigen Anstrich zu geben, mit sichtbarem Riemenantrieb – was der Idee von Joop der Boer völlig widerspricht.
Den 3100 hat Jochen Straceny erst 1978 kennengelernt. Viele HiFi-Freunde waren damals auf Spieler mit Direktantrieb fixiert – für den Nürnberger ideale Gelegenheit, mit einem preisgünstigen gebrauchten Acoustical den Einstieg in die Welt der High Fidelity zu wagen
Der Acoustical von Straceny ist ein Musterbeispiel für Spielereien und Bastelarbeiten: Hier hat ein Vorbesitzer die Tellerblende in drei Teile zersägt, die hinteren Hälfte entsorgt und den Acoustical mit den beiden vorderen Vierteln betrieben – warum weiß der Liebe Gott.
Straceny beteuert, sein Acoustical sei im Originalzustand – der Verkäufer hatte ihm das wohl weisgemacht. Aber das stimmt natürlich nicht wirklich …
Fabrikneue Ersatzteile gibt es heute keine mehr. Die wichtigen Stroboskoplampen sind jedoch noch beschaffbar. Grundsätzlich kann am einfach konstruierten Acoustical nicht viel kaputt gehen.
Verschleißteile: Motoraufhängung, Potentiometer für Drehzahlkontrolle, Stroboskoplampen
Ausnahme ist die Gummiaufhängung für den Papst-Motor, die nach über 40 Jahren meist verschlissen ist und durch alternatives Dämpfungsmaterial ersetzt werden muss – was bei meinen Acoustical-Spielern Peter Feldmann erledigt hat.
Andernfalls können sich Vibrationen vom Antrieb her auf das Chassis übertragen – ein Problem, mit dem viele Acoustical kämpfen. Die Vibrationen machen sich zwischen den Musikstücken einer Schallplatte als hintergründiges Summen aus den Lautsprechern bemerkbar. Das stört den Musikgenuss von dem an sich rumpelfreien Laufwerk.
Schwachpunkt ist auch das oft schwergängige Potentiometer zur Feineinstellung der Drehzahl. Da kann man sich aber mit Teilen aus dem Elektronikmarkt behelfen.