Geheimtipp: Goldring GL 88 / G 99
Maßgeblicher Hersteller von HiFi-Plattenspielern in Großbritannien neben Connoisseur und Garrard war Goldring aus Leytonstone, einem Vorort im Nordosten von London.
Gegründet wurde Goldring bereits 1907 in Berlin von dem Juden Henry Scharf, der nach der Machtergreifung Hitlers 1933 nach England emigrierte und dort sein Unternehmen neu aufbaute.
Ab 1955 wurden Lenco-Plattenspieler in Großbritannien von Goldring unter eigenem Namen verkauft
Wobei das Wort „Hersteller“ hier nur eingeschränkt zutrifft. Goldring-Spieler basieren auf Konstruktionen der schweizerischen Lenco AG, sind umgelabelte Lencos oder werden unter Verwendung von Bauteilen aus Burgdorf in England komplettiert.
Von Goldring kam der Anstoß, aus dem erfolgreichen Lenco L 70 eines der auf der Insel beliebten Laufwerke abzuleiten: „Um mit dem Garrard 301 zu konkurrieren, benötigten wir einen Plattenspieler ohne Tonarm“, erklärt Gerry Sharp, Sohn des damaligen Goldring-Chefs Erwin Scharf.
Laufwerk Goldring G 88 – mit seiner klaren Formensprache ein sehr gelungenes Design
Ray Griffin, der technische Direktor der Firma, erinnert sich, dass Lenco in Burgdorf einen Prototyp konstruierte, aber von den Verkaufschancen eines reinen Plattenlaufwerks dann doch nicht überzeugt war:
„Erwin dagegen glaubte an den Markterfolg. Wir entwickelten dann ein eigenes Chassis und bauten unser Laufwerk unter Verwendung maßgeblicher, in der Schweiz hergestellter Bauteile des L 70 wie Motor, Reibrad und Plattenteller.“
Stufenlose Regulierung der Tellerdrehzahl von 16 bis 78 U/min wie bei den Lenco-Spielern
Dass der Goldring in einem gebrochenen Weißton geliefert wurde, war kein Zufall, da der konkurrierende Garrard 301 in der gleichen ungewöhnlichen Farbe lackiert war
„Unser neuer GL 88 mit attraktiver Elfenbeinfarbe ist modern gestylt“, schwärmt Goldring von seiner ungewöhnlichen Laufwerk-Kreation „Er hat alle mechanischen Vorzüge der anderen Goldring-Lenco-Plattenspieler, von denen einige immer noch einzigartig sind.“
Der Goldring GL 88 mit Unterzeile „Lenco“ auf der Platine, die auf den schweizerischen Ursprung hinweist, wird 1962 in Großbritannien in ganzseitigen Anzeigen beworben. Er kostet 19 Pfund und eignet sich zur Kombination mit jedem beliebigen Tonarm
Die Tellerachse des GL 88 dreht sich in einer Lagerbuchse aus gesinterter Bronze. Am Boden ruht sie auf einem speziellen Druckring.
Der Vierpolmotor mit einer Leistungsaufnahme von 15 Watt reagiert auf Änderungen der Netzspannung von bis zu 13 % mit einer Änderung der Tellerdrehzahl von weniger als 1 %.
Englisches Prospektblatt des GL 88 – das man im Archiv von Goldring bis heute aufbewahrt hat
Rumpeln und Brummen des Laufwerks, so der Hersteller, seien vernachlässigbar. Die maximalen Gleichlaufschwankungen für wow und flutter betragen 0,2 %.
Selten ist die Gummimatte des Goldring GL 88 noch in diesem schönen Zustand
Der 3,7 Kilogramm schwere Plattenteller aus antimagnetischem Zinkguss hat eine radial gerippte, leicht zu säubernde Gummiauflage und gegenüber dem L 70 einen stärkeren Rand mit der Folge größerer Masse dort, wo sie am stärksten wirkt.
Als „zusätzliche Raffinesse, die dem GL 88 eine ganz besondere Note gibt“, bezeichnet Goldring die rote Pilotlampe, die den Betriebszustand signalisiert
Ein neues Element sind die Drucktasten für das Ein- und Ausschalten des Laufwerks, die das Reibrad an den Teller andrücken und es von ihm abkoppeln. Der Netzschalter ist entstört und vermeidet hässliches Knacken in den Lautsprechern.
Goldring-Laufwerk in Deutschland-Ausführung L 88. Den kreisrunden Abdruck eines Lencoclean-Saugfußes vorn rechts auf der Platine hat Grafiker Udo Beykirch für die Abbildung in SCHWEIZER PRÄZISION per Photoshop entfernt
Die wenigen Geräte für den Export tragen die Bezeichnung „Lenco 88“ und in der Unterzeile den Namen des Herstellers „Goldring“. Jedoch existieren Lenco-88-Laufwerke, wie das obige Foto zeigt, auch ohne diese Unterzeile. Das seltene Exemplar mit der Modellbezeichnung Lenco 88 gehört einem Sammler aus der Schweiz, der es in Berlin aus einem Nachlass erwerben konnte.
In Deutschland wird der „88“ nur kurzzeitig angeboten – und mit einer einzigen Anzeige in der HiFi-Stereophonie beworben. Die erste Ausgabe des Deutschen High Fidelity Jahrbuchs (1963/64) listet das Laufwerk ebenfalls auf.
Die Firma Dube Electric in Hamburg, die 1964 die Lenco-Vertretung in Westdeutschland übernimmt, empfiehlt dazu den Tonarm ADC Pritchard aus dem eigenen Vertriebsprogramm.
Mit Pritchard-Arm, Luxuszarge und Haube, aber ohne System kostet der Lenco L 88 bescheidene 598 DM. Als Chassis werden zunächst nur 198 DM und dann 218 DM verlangt.
Holztonarm ADC Pritchard im Vertrieb des Hamburger Importeurs Dube Electric – hier die letzte Ausführung ADC 50
Doch trotz der günstigen Preise erweist sich das „Spitzenlaufwerk für den HiFi-Individualisten“ in Deutschland als kaum verkäuflich.
In der preisempfindlichen Mittelklasse sind Plattenlaufwerke in Kontinentaleuropa nicht gebräuchlich, da zu ihnen ja noch einer der meist kostspieligen Einzeltonarme angeschafft werden muss. Die Spitzenklasse, wo der Preis des Arms eine geringere Rolle spielt, wird vom Thorens TD 124 eingenommen.
In Großbritannien kommt der „88“ mit seinem einfachen Antrieb an die Qualitäten seines aufwendiger gebauten Vorbildes nicht ganz heran – auch wenn die Zeitschrift Hi-Fi World den Goldring mit Thorens TD 124 und Garrard 401 in einem Atemzug nennt.
Der britische Lenco-Kenner A. D. Richardson, der eine sehr informative, inzwischen leider abgeschaltete Homepage „The Lost Worlds Of Lenco“ betrieb, nennt seinen GL 88 gar den „Garrard 301 des kleinen Mannes“. Ein hartes Urteil, denn das Design des „88“ scheint mir sehr gelungen.
Erfolgreiche Suche
Lang habe ich nach einem guten GL 88 für meine Sammlung geschaut – und bin dann in Nordirland auch fündig geworden. Mein Exemplar konnte ich von HiFi-Liebhaber und SME-Kenner Christopher Bingham erwerben – der sämtliche Ausgaben von SCHWEIZER PRÄZISION besitzt.
Chris Bingham aus Bangor hat in seinem eBay-Shop erlesene Angebote – er beweist aber auch bei seiner privaten Gerätewahl viel Geschmack: TD 125 mit langem EMT-Tonarm und im Hintergrund eine Radford-Röhrenkombination
Anschließend hat Peter Feldmann den noch wie neu aussehenden Goldring GL 88 sorgfältig revidiert und dafür den Ausschnitt einer Massivzarge bestimmt. Bestückt habe ich das Laufwerk mit dem Ortofon-Tonarm SMG 212 und dem Hi-Jack aus gleichem Haus.
Zu der stimmigen Kombination hat mich ein im Online-Auktionshaus angebotener Goldring GL 88 inspiriert, der genau mit diesem begehrten dänischen Tonarm-Klassiker ausgerüstet war.
Von Peter Feldmann revidierter GL 88 mit makellosem Tonarm Ortofon SMG 212 und Aufsetzhilfe Ortofon Hi-Jack. Im SPU-Kopf der gut harmonierende, leider nicht mehr erhältliche Magnet-Tonabnehmer Ortofon Broadcast E
Die weinrot lackierte Konsole stammt von Schreinermeister Andreas Kirschner aus Griesheim bei Darmstadt, der sich mit seinem Unternehmen „Holz und Musik“ auf das Anfertigen von Plattenspielerzargen, Lautsprechergehäusen, Tonmöbeln und anderen Gegenständen rund um’s Hobby Musik spezialisiert hat.
Vorbild für die elegante Farbkombination meines GL 88 war der Trans Europa Express TEE in weinrot/creme, der ab 1957 große europäische Metropolen miteinander verband.
Allerdings zeigte sich Kirschner weder in der Lage, für die Zarge passende Gummifüße noch die von mir gewünschten selbst aufstellenden Scharniere für die maßgefertigte Acrylhaube zu liefern – ein Unding. Dies musste dann Peter Feldmann mit seinen Beschaffungsmöglichkeiten übernehmen.
Weiterentwicklung des GL 88
Mitte der 1960er Jahre ersetzt Garrard sein Spitzenmodell 301 durch den Nachfolger 401. Da will Goldring auch den „88“ aufwerten. 1965 kommt das Transkriptionslaufwerk G 99 auf den Markt – das Goldring durch etliche Modifikationen nun stärker als eigenes Modell positioniert.
Goldring G 99 mit Drehschalter für die Geschwindigkeitswahl und dem komfortablen Leuchtstroboskop. Gut zu erkennen die Lenco-Mechanik auch dieses Laufwerks
„Wir ergänzten damals unser Plattenlaufwerk um ein beleuchtetes Stroboskop und tauschten den Hebel für die Geschwindigkeitswahl durch einen Drehschalter aus, mit dem das Reibrad entlang der konischen Motorwelle bewegt wird“, erklärt Gerry Sharp. Obwohl mit dem gleichen bewährten Antrieb aus Burgdorf versehen, entfällt der Zusatz „Lenco“ bei der Modellbezeichnung.
Bei der äußerlichen Gestaltung hält Goldring sich wieder geschickt an die Konkurrenz: Die Farbgebung des G 99 ist wie beim Garrard 401 eine Kombination von Silber und Grau.
„Das weiße Chassis des GL 88 und das dunkelgraue des G 99 wurden von einer Tochtergesellschaft von Rolls Royce hergestellt“, weiß John Rudman von der Home Electronics Division der britischen Armour Group zu berichten, die heute Tonabnehmer und Plattenspieler der Marke Goldring herstellt und vertreibt.
Anleitung für die Bedienung des Goldring G 99 in Form eines kleinen Büchleins
Eine Bremse für den Plattenteller besitzt der G 99 im Gegensatz zum GL 88 nicht. Die üblichen Plattendrehzahlen lassen sich mit dem Drehknopf über Raststellungen anwählen. Es soll aber auch Geräte ohne solche Rastpunkte geben, bei denen die korrekte Umdrehungsgeschwindigkeit für eine bestimmte Schallplatte allein anhand des sehr genauen Leuchtstroboskops mit Bändern für die Drehzahlen 33 ⅓, 45 und 78 U/min ermittelt werden muss.
„Obwohl das Laufwerk primär für den englischen Markt vorgesehen war, verkauften wir den G 99 wie schon vorher den ‚88‘ auch an einige andere Kunden, zum Beispiel in den Niederlanden“, erinnert sich Sharp.
Goldring G 99 mit Tonarm NEAT GA-16 – eine Japan-Kopie des amerikanischen Gray. Leider pflegt auch dieser Besitzer die Unsitte, die angeblich klangverhindernde Gummimatte wegzuwerfen und Schallplatten direkt auf den Teller zu legen
Nicht einfach ist es, heute einen guten Goldring G 99 aufzutreiben. Die Verarbeitung ist schlechter als die des Vorgängers. Die dünne, auf das Chassis geklebte Metallblende neigt zu Welligkeit, speziell rund um das Stroboskopfenster.
Der Drehschalter für die Geschwindigkeit überträgt seine Kraft auf die Mechanik zum Verschieben des Reibrads mittels Zahnrad und Zahnstange aus Plastik – Bauteile, die altern und spröde werden können. Wenn da etwas bricht, dann „gute Nacht“!
In dieser Hinsicht war der G 99 am Beginn der 1970er Jahre ein Vorbote der „britischen Krankheit“ mit immer schlechterer Qualität der Produkte und dem rapidem Verfall des englischen Pfundes. Erst die harte Hand von Margret Thatcher, die sich mit den mächtigen Gewerkschaften anlegte, setzte der Wirtschaftskrise ein Ende.
Trotzdem war es mir gelungen, einen schönen Goldring G 99 für meine Sammlung aufzutreiben. Auch dieses Laufwerk habe ich mit einem klassischen Ortofon-Tonarm kombiniert – dem RS 212 mit magnetischem Driftausgleich. Bestückt ist der Arm mit dem seltenen, vorn offenen M-Tonkopf, der den leichteren Nadelwechsel erlaubt.
Goldring G 99 mit Tonarm Ortofon RS 212 und Tonabnehmer Ortofon 2 M Mono in einer Maßzarge von Andreas Kirschner
Wichtig ist mir, ein historisches Plattenlaufwerk mit einem zeitgenössischen Tonarm zu kombinieren – also nicht mit einem modernen Rega oder irgendeiner high-endigen Kreation „Marke Maschinenbau“, gern noch in Verbindung mit einer Plattenklemme.
Hier passt es sogar perfekt: Der Ortofon RS 212 kam im gleichen Jahr wie der Goldring G 99, nämlich 1965, auf den Markt.
Auch dieses Laufwerk hat Peter Feldmann restauriert. Die massive Maßzarge in schönem Elfenbeinton stammt ebenfalls von Andreas Kirschner.
Kleine Unzulänglichkeiten
In einem Testbericht der Zeitschrift Hi-Fi News vom April 1966 bescheinigt Ralph West dem Goldring G 99 vom Grundsatz her hohe Qualität. Besonders hebt er den schweren Plattenteller hervor, dessen Masseträgheit nur vom Gusseisenteller des Thorens TD 124 übertroffen wird.
West deckt aber auch kleinere Unzulänglichkeiten und Fertigungstoleranzen auf, die sein Besitzer im Auge behalten müsse. Leichte Geräusche vom Antrieb her verschwänden, wenn das Laufwerk erst einmal eingefahren ist. Das Rumpelverhalten entspreche in etwa dem des bewährten Garrard 301.
Besonders gelobt wird das gelungene Design des Goldring G 99 und die gute Ablesbarkeit des Stroboskops. Seine Neonlampe strahlt die Punkte an der Unterseite des Tellers an und wirft das Licht über einen Spiegel aus metallisiertem Kunststoff in den Schacht.
Schwerer Zink-Plattenteller des Goldring G 99 mit Stroboskop-Markierungen an der Unterseite
Im Dezember 1969 nimmt das Modell an einem Sammeltest sechs hochwertiger Plattenlaufwerke in Kombination mit der SME-Zarge 2000 teil. Über den Goldring G 99 schreibt John Wright:
„Die von uns ermittelten Rumpelwerte lagen stabil bei – 57 dB bewertet und – 40 dB unbewertet. Sie blieben auch von der Art der Laufwerksmontage relativ unbeeinflusst. Als Gleichlaufschwankungen notierten wir 0,07 % für wow und 0,02 % für flutter – was auch sehr gut den Herstellerangaben entspricht. Tellerachse und Motor sind robust ausgelegt und versprechen jahrelangen störungsfreien Betrieb.”
Hinweis auf der Unterseite des Tellers auf seine Herkunft aus der Schweiz
Im Test erreicht der G 99 sehr schnell die Nenndrehzahl und benötigt nur eine kurze Aufwärmzeit, um diese zu stabilisieren.
Die magnetische Abschirmung des Motors erweist sich dagegen als etwas schlechter als bei den Konkurrenzmodellen. Für brummempfindliche Tonabnehmer, so Wright, sei das Laufwerk nicht geeignet, wenngleich es mit den eigenen Modellen von Goldring und denen von Shure damit keine Probleme gebe.
Vorsicht sei beim Drücken der Ein- und Ausschalttasten geboten, da sich diese gefährlich nahe an der Tonabnehmernadel befinden.
Testredakteur John Wright bei seinen Untersuchungen von sechs Laufwerken der Spitzenklasse jeweils in der Zarge SME 2000 – hier am Garrard 401
Sein abschließendes Urteil: „Von einigen kleineren Unzulänglichkeiten abgesehen und mit Blick auf seinen günstigen Verkaufspreis hinterließ der Goldring G 99 einen Eindruck, den man eigentlich von deutlich teureren Laufwerken erwartet.“
Von meiner Seite ist noch anzufügen, dass bei den Goldring-Laufwerken in den Kirschner-Zargen Rumpeln kein Thema ist – was man selbst von einem top-restaurierten Thorens TD 124 nicht in jeder Arm-, Abtaster- und Zargenkombination behaupten kann.
„Der Klang des Goldring G 99 und anderer hochwertiger Reibrad-Laufwerke unterscheidet sich von riemengetriebenen Modellen fundamental“, meint ein Diskussionsteilnehmer im Internet. „Wer Musik bisher über einen Thorens TD 160 oder einen Linn LP 12 hörte, wird mit einem gut gedämpften G 99 detailreichere Höhen und einen Bass mit größerer Wucht und Präzision erleben.“
Fazit: Die Goldring-Modelle GL 88 und G 99 sind solide Plattenlaufwerke, die oft unterschätzt und übersehen werden. Gleichwohl haben sie unter Kennern eine treue Anhängerschaft. Gegenüber Garrard 301 und 401 tauchen sie auf dem Gebrauchtmarkt viel seltener auf – vor allem der elfenbeinfarbige GL 88. Mit ihrem Äußeren, das von einem bekannten englischen Industriedesigner stammt, sehen die beiden Goldrings auch heute noch frisch und sehr modern aus. Gleicher Meinung sind die Teilnehmer im Internetforum Lenco Heaven: Für sie gelten die britischen Goldring-Laufwerke GL 88 und G 99 – neben dem seltenen L 77 aus der Schweiz – als Krönung jeder Lenco-Sammlung.