Streng zu sich und anderen

Die Lenco AG in Burgdorf nahe Bern war mit drei Werken und bis zu 1400 Mitarbeitenden größer als der andere maßgebliche Hersteller von Plattenspielern in der Schweiz. Doch während Thorens auf eine mehr als hundertjährige Geschichte zurückblickt, bestand Lenco kaum länger als drei Jahrzehnte. So rasch, wie sich die Firma ab 1946 von einem lokalen Radiogeschäft zu einem global tätigen Unternehmen entwickelte, so schnell war dann Ende der 1970er Jahre auch wieder Schluss. Doch Plattenspieler der Marke gelten bis heute als Qualitäts-, ja als Kultprodukt.

Marie Laeng, die untrennbar mit dem Unternehmen Lenco verbunden ist, wird 1905 unter dem Familiennamen Stucki in Signau geboren, einem kleinen Dorf im Emmental. „Ihren Vater lernte sie nie kennen und ihre Mutter starb früh“, berichtet Tamara Suter, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Museum Schloss Burgdorf, in ihrem Einführungsbeitrag der Schlossschrift.

Nach dem Tode der Mutter werden Marie und ihr Bruder Robert „fremdplatziert“, wie es in dem für unsere Ohren oft als hart empfundenen Schweizerdeutsch heißt.

Mit der Erziehung bei fremden Leuten teilt Marie Stucki das Schicksal zahlreicher Verdingkinder im Emmental

Und hart ist Maries Kindheit in vielerlei Hinsicht:

Das junge Mädchen friert im Winter, hat kein eigenes Bett und muss in einer Kammer mit schmutziger Wäsche schlafen. Einziger Lichtblick ist die Schule, die Marie gern besucht. Gern wäre sie dort länger geblieben, doch das kommt damals für Mädchen nicht in Frage.

Gerade volljährig sucht die junge Frau ihr Glück in Italien, wo sie in Hotels arbeitet. Dort spürt sie zum ersten Mal Zugewandheit und Gastfreundschaft gegenüber fremden Menschen. Eine Einstellung, die Marie in ihr Herz schließt und mit zurück ins Emmental bringt. Ihre damaligen Erfahrungen und die Liebe zum südlichen Nachbarland werden die Schweizerin ihr ganzes Leben lang begleiten.

Über die Arbeit bei einem Verwandten lernt Marie Fritz Laeng kennen, der schon seit 1925 in Burgdorf ein Radiogeschäft führt. Beide teilen die Faszination für die neue Radio- und Tontechnik.

1929 heiratet das Paar und lenkt fortan gemeinsam die Geschicke des Ladens. In seiner jungen Frau findet Fritz nicht nur eine sehr hübsche, sondern auch intelligente und selbstbewusste Partnerin.

Radio Laeng in Burgdorf – Keimzelle von Lenco. Vor dem Geschäft in der Friedeggstraße 5 stehen Fritz und Marie Laeng

Im November 1933 wird Bruno Grütter Mitarbeiter von Radio Laeng. Der Mann aus Roggwil im Kanton Bern hat das Uhrmacherhandwerk erlernt und sich zum Elektro- und Radiotechniker weitergebildet.

Tapfer kämpft man sich im Laden durch die finanziell schwierige Vorkriegszeit. Grütter darf sich quasi als Mitglied der Familie fühlen, die zum Essen am großen Tisch zusammenkommt. Er wohnt auch auf dem Anwesen „Friedegg“ der Laengs – einem alten Bauernhaus in Burgdorf, welches das Ehepaar 1942 erwerben kann.

Bruno Grütter – bei Lenco zeitlebens eine wichtige Stütze des Geschäfts

Inzwischen sind die Laengs Eltern der Söhne Fritz junior und Rudolf. Ausgerechnet der zweite Weltkrieg bringt dem Radiogeschäft den nötigen Aufschwung: Plötzlich will jedermann das Weltgeschehen zeitnah verfolgen und nicht erst auf die nächste Zeitungsausgabe warten.

Während Fritz Armeedienst leisten muss, ist seine Frau allein für Geschäft und Familie verantwortlich. Marie Laeng liefert Radios mit dem Velo aus: eins auf dem Rücken, eins auf dem Gepäckträger und ein drittes vor dem Lenker festgebunden.

In der Notzeit nach dem Krieg stellen die Laengs neben dem Radiogeschäft Knoblauchpressen und Raffeln für die Zubereitung von Birchermüsli her. Auch Spritzgussteile für verschiedene Anwendungen zählen zum Lieferprogramm.

Etwa zur gleichen Zeit entwickeln Fritz Laeng und Bruno Grütter einen Motor für Grammophone, der den Teller über ein angeflanschtes Schneckengetriebe in Bewegung setzt. Beide haben die Entwicklung der Tontechnik bereits klar vor Augen.

Fritz und Marie Laeng fassen den Entschluss, auf diesem zukunftsträchtigen Gebiet tätig zu werden. Am 6. Dezember 1946 wird die Lenco AG in das Handelsregister eingetragen. Die Idee zum wohlklingenden Firmennamen hat Marie, den sie aus „Laeng“ ableitet

Einziger Mitgesellschafter ist Bruno Grütter. Ein stiller Mann, der mit seiner technischen Begabung im Unternehmen zeitlebens eine führende Rolle einnehmen wird und „ohne den es Lenco nie gegeben hätte“ – so die Einschätzung von Fritz Laeng junior.

Zunächst ist die Lenco AG mit einzelnen Motortypen, dann auch mit Baugruppen, die aus Motor, Teller und Tonarm bestehen, Zulieferer für Grammophon-Hersteller.

Rentabel ist die kleine Firma anfangs kaum. Marie Laeng setzt sich mit allen Kräften dafür ein, das Geschäft voranzubringen. Die Haushälterin der Familie bekommt die Strenge von Marie zu spüren. Bei ihrer Arbeit erfährt sie kaum Großzügigkeit und Fürsorge. Halbherziges, unentschlossenes Wesen ist der Geschäftsfrau zuwider.

Herstellung der ersten Lenco-Produkte in einem alten Bauernhaus

1947 erscheint mit dem Lenco A 46-8 das erste komplette Plattenspieler-Chassis für 78er Schellackplatten. Es besitzt einen Teller mit 30 Zentimeter Durchmesser, Bakelit-Tonarm und automatische Endabschaltung.

Zwei Jahre später präsentiert das junge Unternehmen seinen ersten kompletten Plattenspieler mit Zarge für Schellack- und Vinylschallplatten. Gezeigt wird die Neuentwicklung auf der schweizerischen Radioausstellung 1950 in Zürich.

Schon dieses Lenco F 50-8 genannte Modell verfügt über die konisch geformte Motorachse und die dadurch mögliche stufenlose Einstellung der Tellerdrehzahl – fortan Markenzeichen und Alleinstellungsmerkmal aller Reibradspieler von Lenco.

Der Drehzahlsteller des Lenco F 50-8 hat Rastpunkte bei 78, 45 und 33 ⅓ U/min. Sämtliche ab jetzt gebräuchliche Schallplatten können abgespielt werden. Das Modell wird in mehreren Entwicklungsstufen bis gegen Ende der 1950er Jahre gebaut – Indiz seiner von Anfang an ausgereiften Konstruktion.

1955 wird der F 50-8 als Mark II um die vierte Drehzahl 16 ⅔ U/min für Sprachplatten ergänzt. Erkennungsmerkmal von Lenco-Plattenspielern der 1950er Jahre ist ihr abgerundeter Tellerrand

Um mehr Platz für die Produktion zu haben, die jetzt auch im Ausland Absatz findet, erwirbt Lenco nach einer Erhöhung des Betriebskapitals die Liegenschaft Emmenau. Das ehemalige Kühlhaus in Hasle nahe Burgdorf wird für die eigenen Zwecke umgebaut.

Erweitere Produktion der Plattenspieler ab 1952 in Rüegsau, einem Ortsteil von Hasle

Dass Marie Laeng nicht nur streng mit dem Personal ist, sondern auch gegenüber sich selbst, erlebt die Haushälterin auf der Baustelle:

„Beim Umbau eines Raumes in Hasle packte die Chefin mit an. Mit dem Vorschlaghammer rückte sie einer Backsteinmauer zu Leibe und verletzte sich dabei ihre Hand. Ohne zu zögern stieg Marie ins Auto und ließ sich beim Arzt die Wunde nähen. Zwei Stunden später war sie wieder beim Steineklopfen. Da spürte ich, welch hohen Anspruch sie auch an sich selbst stellte.“

Die Erfolgsstory beginnt

Der geschäftliche Durchbruch gelingt Lenco 1953 durch die Zusammenarbeit mit dem Buchclub Ex Libris, durch den Gottlieb Duttweiler, Gründer der Einzelhandelskette Migros, einen Teil seines sozialen und kulturellen Engagements verwirklicht.

Um den Absatz von Schallplatten anzukurbeln, die Ex Libris ebenfalls verkauft, und dabei einen Synergie-Effekt mit Abspielgeräten zu nutzen, sichert sich der Buchclub das Alleinvertriebsrecht der Lenco-Plattenspieler in der Schweiz.

Ex Libris vertreibt seit 1947 Bücher und Schallplatten zu Tiefpreisen an die Bevölkerung

Den Auftrag als ausschließlicher Lieferant erhalten die Laengs gegen 15 Konkurrenten. Die Bedingungen des Geschäftspartners: absolute Zuverlässigkeit der Plattenspieler und ein Reparaturservice ohne Wenn und Aber.

Durch die Verpflichtung zur Qualität gewinnen Lenco-Plattenspieler bald einen makellosen Ruf. Auf eine im Nu ausverkaufte Bestellung von Ex Libris über 1000 Stück folgen weitere in immer größeren Zahlen. Zeitweise kommt die Produktion mit der Nachfrage kaum mit.

In einem Brief an ihren Sohn Fritz schreibt Marie Laeng: „In der Lenco geht’s momemtan ganz verrückt. Ex Libris bestellt manchmal 200 Stück pro Tag. Wir haben Angst, wir bringen nicht genug Ware her!“

1957 hat Lenco seit Firmengründung bereits 50000 Plattenspieler verkauft, zwei Jahre später wird dank eines kometenhaften Aufschwungs die Marke von 100000 Spielern erreicht

1959 bezieht das Unternehmen seinen künftigen Stammsitz am Bahnhof von Oberburg, einem Nachbarort von Burgdorf. In der ersten Ausbaustufe hat das Werk 400 Beschäftigte.

Shedhallen des künftigen Stammwerks von Lenco in der Brunnmattstraße. Als erste Abteilung kommt dort die Montage unter

Ein ganz großer Wurf gelingt dem Unternehmen 1960 mit dem Lenco L 70 – dem ersten Plattenspieler aus Burgdorf in HiFi-Qualität.

Mit dem von Bruno Grütter konstruierten Plattenspieler Lenco L 70 steigt das Burgdorfer Unternehmen in die HiFi-Liga auf

Im gleichen Jahr tritt Rudolf Laeng, der jüngere Sohn der Firmengründer, in das Unternehmen ein. Ruedi, wie er in der Schweiz genannt wird, übernimmt als leitender Ingenieur das Laboratorium sowie die Abteilung Entwicklung und Konstruktion. Sein älterer Bruder Fritz Laeng junior, schon seit 1954 bei Lenco, fungiert als Exportleiter und Personalchef.

Niederlassung in Italien

1961 gründet Lenco in Italien eine Tochtergesellschaft – und löst damit gleich zwei Probleme auf einen Streich:

Erstens sind in Italien im Gegensatz zur Schweiz neue Arbeitskräfte in genügender Zahl und zu günstigen Löhnen zu gewinnen. Zweitens hat Lenco damit ein Standbein in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und kann mit geringeren Hürden nach Europa exportieren.

Sitz des Lenco-Ablegers ist Osimo – eine schöne historische Stadt auf einem Bergrücken in der Provinz Ancona. Die Adriaküste ist nur 17 Kilometer entfernt. Bei gutem Wetter lassen sich auf dem Meer die Segeljachten beobachten.

Die Lenco Italiana mietet von Luciano Antonelli, dessen Akkordeonfabrik unter Auftragsmangel leidet, einige seiner Produktionsräume und übernimmt ein Dutzend italienische Mitarbeiter, die gut ausgebildet und in der Montage von Feinmechaniken versiert sind. Anfangs stellt man vorwiegend Kleinmotoren für Batterie- und Wechselstrombetrieb her.

In diesen Fabrikhallen startet Lenco die Produktion in Italien; im Hintergrund Häuser und Kirche von Osimo bei Ancona

Marie Laeng, die in Osimo ein Haus erwirbt und italienisch spricht, setzt ihre ganze Kraft für die Tochtergesellschaft ein und bringt sie durch die ersten schwierigen Jahre. Abgeordneten aus Burgdorf hilft sie, die dort vorkommenden Erdbeben und das Heimweh mental zu überstehen.

1964 übernimmt Lenco den ganzen Gebäudekomplex und weitere Mitarbeiter von Antonelli. Mit einer Belegschaft von bald 500 Personen entwickelt sich die prosperierende Tochter zu einem der bedeutendsten Arbeitgeber der Region und prägt in Osimo den wirtschaftliche Übergang von der Landwirtschaft zur Industrie.

Vom italienischen Außenhandelsministerium gibt es dafür großes Lob. Mit dem „Mercantile d’oro 1971“ – einer Art „Oscar“ für die Exportwirtschaft – wird Lenco für die auf internationaler Ebene erlangte Position seiner HiFi-Geräte ausgezeichnet.

Mit der Führung der Lenco Italiana ist der langjährig bewährte Mitarbeiter Hans Morf betraut

In Italien wird die Muttergesellschaft aber auch mit einem ungewohnten Gegenspieler – einer schlagkräftigen Arbeitnehmerorganisation – konfrontiert. Bei Wahlen erreicht die gewerkschaftliche Liste 80 Prozent der Stimmen. Eine Lokalzeitung spottet über die „unreife Arbeiterklasse“ in der Schweiz, die mit den „Tricks der Chefs“ nicht vertraut ist.

Spannend für die Abgesandten aus Burgdorf ist die Firmenkultur unter südlicher Sonne. Gearbeitet wird hier zwar ebenso engagiert wie am Stammsitz, doch es herrscht auch eine gewisse Leichtigkeit. Dass man hier nach Feierabend zusammen Tennis spielt, querbeet durch alle Hierarchien, wäre bei den Eidgenossen undenkbar.

Lenco knackt die Viertelmillion

1965 der nächste Meilenstein: In dem Jahr blickt Lenco bereits auf 250000 produzierte Plattenspieler zurück. Zwei Jahre später kommt es für die Burgdorfer aber noch besser:

Der neue Lenco L 75 übernimmt das bewährte Laufwerk des Vorgängers L 70, hat aber einen besseren Tonarm mit Antiskating, der das Verwenden von Tonabnehmern hoher Nadelnachgiebigkeit erlaubt. Das Tellergewicht steigt von 3,7 auf 4 Kilogramm wird nur vom Thorens TD 124 übertroffen – der allerdings schon ohne Tonarm das Doppelte kostet.

Der unverwüstliche Lenco L 75 ist das erfolgreichste Produkt der Lenco AG. Er vor allem begründet den hervorragenden Ruf der Plattenspieler aus Burgdorf

Mit dem Modell brennt sich der Markenname Lenco endgültig in die Herzen der HiFi-Fans ein. Auch ich besaß mal einen L 75 – in modischer weißer Schleiflackzarge.

An der Schwelle der 1970er Jahre verkauft Lenco Plattenspieler „Made in Switzerland“ schon in über 80 Ländern der Erde. Dank der guten Auftragslage muss das Stammwerk Oberburg in mehreren Stufen erweitert werden.

Einweihung des dritten Bauabschnitts 1970; links im Hintergrund Fritz und Marie Laeng, vorn rechts Sohn Rudolf Laeng. Das Band durchschneidet die Frau des Geschäftsführers von Arena Akustik, dem deutschen Lenco-Importeur

1971 zieht sich Fritz Laeng senior – der gegenüber seiner dominanten Gattin stets etwas im Hintergrund bleibt – aus dem Unternehmen zurück. Die Söhne Fritz Laeng junior und Rudolf Laeng treten die Nachfolge in der Geschäftsleitung an.

Dass die Brüder sich nicht sonderlich gut verstehen und unterschiedliche Vorstellungen von der Unternehmensführung haben, ist bei Lenco ein offenes Geheimnis. Erst 2003, lang schon im Ruhestand, werden sie bei einem zufälligen Zusammentreffen in einem Einkaufszentrum von Burgdorf wieder Frieden schließen.

Mit dem einsetzenden HiFi-Stereo-Boom gewinnt das Wachstum von Lenco noch weiter an Fahrt. Um das ständige Problem des Raum- und Arbeitskräftemangels zu lindern, eröffnete das Unternehmen 1972 im Wallis ein weiteres Zweigwerk mit rund 150 Beschäftigten.

Lenco-Werk Steg im Rhônetal unterhalb der Lötschberg-Autoverladung Goppenstein

Der Standort in der kleinen Ortschaft Steg soll nicht nur weibliche Arbeitskräfte aus der besonders strukturschwachen Umgebung, sondern über den Simplon-Pass auch italienische Grenzgänger aus der Region Domodossola anziehen.

Täglich werden die Beschäftigten durch den Lenco-Fahrdienst vom Bahnhof abgeholt und nach Arbeitsschluss wieder dorthin zurückgebracht, da niemand von ihnen ein Auto besitzt.

In Steg werden Motoren und Plattenspieler produziert. Auch Lohnaufträge übernimmt das Werk – hier bei der Herstellung elektrischer Zahnbürsten für Braun in Kronberg

In Italien wird ebenfalls kräftig investiert: 1973 erhält das Werk Osimo ein modernes, lichtes Fabrikgebäude.

Hell und freundlich: Der neue Fabrikbau des Werkes Osimo

Eine Belegschaft von 800 Personen arbeitet jetzt in Osimo für die Lenco AG – die inzwischen am Ort der größte Arbeitgeber ist.

In Osimo werden Plattenspieler der Konsumklasse, Kassettengeräte und Kleinmotoren für zahlreiche Einsatzgebiete hergestellt – wie in der Phonoindustrie üblich die überwiegende Arbeit von Frauen

Oberburg, Steg und Osimo: Die drei Werke der Lenco AG in einem Prospekt

Neuzeitlich geführtes Unternehmen

Wer die Ausgaben der Hauszeitung studiert, gewinnt bei Lenco den Eindruck eines modernen Unternehmens mit rationellen Produktionsmethoden und einer fortschrittlichen Organisation.

Hauptwerk von Lenco am Bahnhof Oberburg: Hier weht stolz die Schweizerflagge

Zur konstruktiven Arbeitsatmosphäre kommen zahlreiche soziale Vorteile für die Belegschaften wie unternehmenseigene Altersversorgung, Betriebssport, Werksbibliothek, bargeldlose Gehaltszahlung – bei anderen Unternehmen gibt es damals noch die „Lohntüte“ – sowie gleitende Arbeitszeit.

Lenco forciert das betriebliche Vorschlagswesen sowie umweltbewusstes Handeln am Arbeitsplatz. Weiter führt das Unternehmen eine systematische Unfallverhütung ein.

Bei Lenco wird aber nicht nur gearbeitet, sondern auch gefeiert: Mit der Belegschaft und den Geschäftspartnern pflegen die Laengs bei zahlreichen Anlässen die Geselligkeit.

Betriebsfeier 1971 in der Markthalle Burgdorf zum 25jährigen Bestehen von Lenco. Serviert wird eine Ochsenschwanzsuppe, gefolgt von Boeuf bourguignon mit Reis und Salat. Zum Nachtisch gibt es eine Cassata und Café Liqueurs. Gefeiert wird bis spät in die Nacht

Über den Besuch einer Goldring-Delegation unter Führung von Manager Erwin Scharf schreibt die Hauszeitschrift:

„Die englischen Gäste waren überrascht, mit welcher Sorgfalt und Präzision unsere Plattenspieler gebaut werden. Große Beachtung fand die Herstellung von Stator und Rotor des Lenco-Motors. In der Werkzeugmacherei konnten sich einige Herren kaum mehr von den zur Schau gestellten Werkzeugen trennen.“

Ansprache von Goldring-Manager Erwin Scharf in Burgdorf. Rechts neben ihm Marie und Fritz Laeng sowie der nach Burgdorf mitgereiste britische HiFi-Journalist Ralph West

„Großes Hallo dann beim gemütlichen Abend, als die Hauskapelle ‚The Lenco L 75 Hot Swingers’ unter der Leitung von Charles Wiedmer die englische und anschließend die schweizerische Nationalhymne intonierte. Später setzte sich zur nicht geringen Überraschung des Publikums ein Engländer ans Schlagzeug, wodurch einer der Lenco-Bandmitglieder als Bläser weiterspielen konnte.“

Die Hauskapelle „The Lenco L 75 Hot Swingers“ spielt auf zahlreichen Empfängen und Firmenfeiern

Fordernd und fürsorglich

Marie Laeng steuert die Geschicke des Unternehmens und der Familie mit eiserner Hand. Ihr laufen Angestellte in die Arme, die schon vor Arbeitsschluss das Werk verlassen. In Osimo überwacht die Chefin, ob die aus der Schweiz nach Italien abgeordneten Mitarbeitenden die Fensterläden ihrer Dienstwohnung korrekt geschlossen haben.

Marie kontrolliert die Arbeit der Beschäftigten – und legt dabei strenge Maßstäbe an. Sie glaubt sich sogar befugt, in dieser Rolle Telefongespräche abzuhören. Ihr Credo: Schweizer Wertarbeit erzielt man nur, wenn man den Leuten ständig im Nacken sitzt.

Marie Laeng bei einer Ansprache: Schon ihr markanter Haarknoten strahlt eine gewisse Strenge aus

Als Arbeitgeberin hat Marie aber auch eine andere Seite:

Die Frau zeigt sich oft menschlich, fürsorglich, nahbar. Das verschafft ihr die Fähigkeit, die Belegschaften sozial an die Firma zu binden und sie bei der Arbeit zu motivieren. Marie stiftet bei Lenco sogar Ehen – und liefert als Aussteuer gleich die Bettwäsche mit.

„Sie sind doch immer ein so Guter“

Ueli Frey, seit 1966 im Unternehmen, zeichnete in Burgdorf für den Einkauf verantwortlich. Wie streng, aber auch gerecht Marie Laeng war, spürte er, als ein Teil der Achsen für den Plattenteller des Lenco L 75 bei der Eingangskontrolle wegen zu großer Toleranzen durchfiel und deshalb ein Produktionsband für den Rest des Tages stillstehen musste.

Ueli Frey, seit 1966 bei Lenco, war Leiter des Einkaufs und berichtete direkt an Fritz Laeng junior

„Die Chefin fragte sofort, was hier los sei, und hielt mir eine Standpauke, die sich gewaschen hatte. Umgehend fuhr ich zum Lieferanten, um die fehlerhaften Teile persönlich zu reklamieren.

Anderntags kam sie zu mir und meinte: „Herr Frey, Sie sind doch immer ein so Guter – sind Sie jetzt wieder zufrieden?‘ Und steckte mir ein Kuvert mit 200 Franken zu – damals ein stattlicher Batzen Geld. So war sie eben auch.“

Von Lenco-Virus angesteckt

Gret Hess, seit 1958 dabei, führte die Schallplatten-Abteilung des Radiogeschäfts in Burgdorf – und arbeitete dort mit Herzblut. Den Lenco-Virus spürt sie in sich bis heute. Dass Marie Laeng Telefone zur Kontrolle ihrer Mitarbeitenden abhörte, kann Hess bestätigen:

„Klingelte im Laden der Apparat und ich hob ab, kam es vor, dass die Chefin ebenfalls abhob und das Gespräch unbemerkt verfolgte. Hatte ihr an meiner Gesprächsführung etwas nicht gefallen, sprach sie mich hinterher an und erklärte mir, was ich nicht gut gemacht hatte. Sie war dabei immer sehr freundlich, aber auch bestimmt.“

Gret Hess bei Radio Laeng auf der Suche nach einer LP im Regal: „Die Kunden verlangten viel Klassik“

In Sachen Mode und Aussehen hatte die resolute Chefin klare Vorstellungen – auch bei Frisuren. „Du bindest mir Deine Haare wieder zusammen, damit Du anständig aussiehst“, beschied sie einmal Gret Hess nach einem Besuch beim Coiffeur. „Ich will kein Cowgirl im Laden.“

Die Ruheständlerin, inzwischen 90, lernte ihren Mann bei Lenco kennen

Dass die Schallplattenverkäuferin ihre Kleider selbst nähte, wusste Marie. „Eines Tages bat sie mich, auch für die Familie Laeng die Nähmaschine zu bedienen:

„Mein Sohn Ruedi geht jetzt ans Technikum. Er sitzt mir ständig die Hosen durch. Ich kann ihm aber nicht laufend neue Hosen kaufen, und zum Flicken habe ich keine Zeit.“ Also stopfte Gret Hess von nun an auch noch Ruedis Hosen – zur vollen Zufriedenheit von Frau Laeng.

„Ich war stolz dazuzugehören“

Heidi Niklaus-Gerber arbeitete als Chefsekretärin. Auch auf sie wirkte die Lenco AG wie eine einzige große Familie. Die rechte Hand von Fritz Laeng erfüllte es mit Freude, ein Teil davon zu sein.

In ihrer Rolle hatte die Sekretärin auch gesellschaftliche Verpflichtungen: „Nach Feierabend ging ich mit Kunden ins Dancing Mocambo nach Bern. Lenco hat sogar die Drinks bezahlt“

„Das Arbeitsklima in Burgdorf empfand ich als sehr gut“, bestätigt die ehemalige Mitarbeiterin und ergänzt: „Nicht zuletzt wegen der besonderen Kultur.

Vom Feierabendbier über Schachclub und Fußballmannschaft bis zum Firmenfest war im Unternehmen alles dabei. Logisch, dass es unter diesen Bedingungen auch viele Lenco-Pärchen gab – so wie meinen Mann und mich!“

Marie Laeng setzte sich für ein Kinderheim ein und organisierte Freiwilligendienste. Im Bild der Lenco-Nachwuchs bei einem Lehrlingsausflug

Von der Firmenchefin war Heidi Niklaus-Gerber sehr beeindruckt: „Nicht nur, weil sie als Frau Karten spielte, Zigaretten rauchte und Whisky trank – im Sitzungszimmer gab es eine Bar. Sie war eine echte Persönlichkeit, hielt alles zusammen und war das Herz der Firma.“

Der schwere Verlust

Auf dem Höhepunkt der Unternehmensblüte versucht Marie Laeng, sich langsam aus dem Geschäft zurückzuziehen und das Feld den Söhnen zu überlassen. Doch das funktioniert nicht wirklich. Privat und Geschäft ist für sie ein- und dasselbe.

Rast- und ruhelos: Marie Laeng arbeitet trotz angeschlagener Gesundheit im Unternehmen weiter. Zigaretten hat die Kettenraucherin stets dabei – manchmal eine in jeder Hand

Die häufigen Reisen, das Rauchen und ein schwaches Herz machen ihr immer stärker zu schaffen. Im August 1974 stirbt Marie Laeng in einem Spital in Genf mit nur 69 Jahren.

Auch in der Hauszeitschrift von Lenco wird der Tod der Seniorchefin angemessen gewürdigt

Delegationen aus dem Wallis und aus Italien fahren zur Beerdigung nach Burgdorf. In Osimo können die Mitarbeitenden in der Kirche über den Abschied von Mamma Laeng, wie sie in Italien genannt wurde, mit dem Schluchzen gar nicht mehr aufhören.

Im Gegensatz zur Schweiz bleibt der Name Lenco in Italien bis heute präsent:

In Osimo trägt die Via Lenco Italiana den Namen des ehemals größten Arbeitgebers der Stadt. Und weil Marie Laeng die Bildungsarbeit vor Ort unterstützte, wurde das dort bestehende Berufsinstitut posthum auf ihren Namen getauft.

Ende der Erfolgsgeschichte

Den frühen Tod der Chefin wird das Unternehmen nicht mehr lang verkraften. Trotz diverser Nachfolgemodelle des legendären Plattenspielers L 75 kann Lenco nicht mehr an frühere Erfolge anknüpfen. Nach den Boomjahren kommt schleichend der Niedergang.

Die Compact Disc erobert den Markt, die Nachfrage nach Plattenspielern von Lenco auf den sehr wichtigen Exportmärkten geht zurück und macht den Burgdorfer zu schaffen. Auf den Tod von Fritz Laeng im Jahre 1978 folgt eine Welle von Entlassungen.

Erstaunlich: Noch zwei Jahre vor dem Ende hegt man bei Lenco den Optimismus, Tochtergesellschaften in Belgien und Spanien zu gründen

1979 kommt es dann zum Konkurs – ein Umstand, der von der Geschäftsleitung zögernd kommuniziert wird und auch nach Italien nur langsam durchsickert. Warum bloß gehen bei einer so großen Firma die Lichter aus? Unter den Belegschaften und bei den Medien ist dies die zentrale Frage.

Nach dem Ende in Burgdorf wird der Lenco L 78 – jetzt mit Japan-Tonarm – in Osimo bis 1981 weiter gebaut. Doch das Finish kommt nicht mehr an die Exemplare aus der Schweiz heran

„Eigenlich sahen wir es kommen“, meint Ueli Frey. „Die Japaner kopierten, machten es billiger und mit der Zeit sogar besser. Wir lancierten zwar noch einen Kassettenrecorder, aber dieses Produkt war kein großer Erfolg.“

Abwicklung mit Anstand

Zu den letzten vier Angestellten zählte Walter Hofer. Er betont, dass es bei der Auflösung von Lenco anständig zuging – ganz anders als bei Dual in Deutschland.

Als Dual Ende 1981 zusammenbrach, ließ die Unternehmensleitung die treue Belegschaft im Regen stehen. Mitarbeiter, die dem Unternehmen zu großer Blüte verholfen hatten, wurden arbeitslos und fanden aufgrund ihres Alters kaum neue Beschäftigung. Fleißige Frauen und Hilfskräfte standen vor dem Nichts. Dual-Erbe Edgar Steidinger hingegen hatte sich kurz vor dem Untergang des Schiffes wohlweislich in die Schweiz abgesetzt – und wurde nach 25 Jahren Wohnhaftigkeit am schönen Vierwaldstätter See mit der schweizer Staatsbürgerschaft belohnt.

„Mein Vorgesetzter sorgte dafür, dass beim Konkurs die Angestellten nicht zu kurz kamen“, erinnert sich Hofer. „Alle erhielten ihr Gehalt.“ Mehr noch: Aus der Auflösung der Pensionskasse konnte Lenco jedem Mitarbeiter mehrere tausend Franken gutschreiben.

Auch Marie Laeng war großzügig – ihre Sozialversicherung spendete sie bereits zu Lebzeiten einem Kinderheim im Emmental.

Bitter: Walter Hofer musste Leute entlassen, die er zuvor mit Aussicht auf Lebensstellung eingestellt hatte

Die Lieferanten kamen ebenfalls glimpflich davon: „Die Konkursdividende betrug etwa 45 Prozent – das ist ein guter Wert. Man beschloss, die Firma eingehen zu lassen, bevor der Schaden zu groß war. Anderen Firmen ging es nicht besser: Elac, Grundig, Revox – die großen Marken sind alle weg.“

Das Ende von Lenco bedeutete für viele Mitarbeiter ein Schock. „Aber der Groll“, resümiert Hofer, „hielt sich in Grenzen, weil die Geschäftsleitung alles unternommen hatte, um den Konkurs fair abzuwickeln.“

Auch dies trug dazu bei, dass die Belegschaft mit ihrem Schicksal nicht haderte und sich ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch heute gern in Burgdorf treffen.

Eine ganz besondere, visionäre Frau

Lenco war nicht irgendeine Firma, sondern ein Familienunternehmen mit Marie Laeng als Triebfeder, die das Geschäft voran- und viele Menschen zusammengebracht hat.

„Sie bekam die Gabe des Planens und Führens mit auf ihren Lebensweg“, heißt es in einer Würdigung ihrer Person. „Darin liegt das Geheimnis ihres Wirkens und ihrer Ausstrahlung.“

Niemals vergisst Marie ihre bescheidene Herkunft und die schwierige Jugendzeit, die von Verlust, Strafe und Entbehrung geprägt war. Soziales Engagement ist ihr zeitlebens wichtig. Vielen Menschen gibt sie Starthilfe auf den Weg.

Als Unternehmerin verliert Marie Laeng die Belange ihrer Mitarbeitenden nicht aus dem Blickfeld. Im Gegenzug erwartet sie von den Beschäftigten ebenfalls Uneigennützigkeit, beispielsweise bei „Frondiensten“ für den Ausbau eines Kinderheims – und geht dabei selbst mit gutem Beispiel voran.

Im Nachwort zur Schlossschrift „Lenco – die Burgdorfer Plattenspieler-Legende“ resümiert Autorin Tamara Suter:

„Marie Laeng prägte das Miteinander und die Firmenkultur wie keine andere. Vielleicht konnte sich dank dieses Fundamentes die Lenco zu einer für ihre Zeit sehr fortschrittlichen Firma entwickeln, in der die Idee von flachen Hierarchien kursiert und alle Mitarbeitenden wertgeschätzt werden sollten. Sicherlich hat auch diese Grundhaltung zum Zusammenhalt der Belegschaft beigetragen.“

Mit ihrem zähen Durchhaltewillen vermochte Marie alle Mitarbeiter anzustecken und mitzunehmen

Ihr unternehmerisches Verständnis und die soziale Einstellung teilt Marie Laeng mit einem anderen Firmenpatriarch der Schweiz:

Willi Studer, Gründer und Inhaber des Weltunternehmens Revox in Regensdorf sowie Ehrendoktor, war uneheliches Kind eines Hausmädchens, das unter ärmlichsten Verhältnissen lebte. Er wurde gleich nach der Geburt weggegeben und wuchs ebenfalls als Verdingkind auf. Studer, der Vater und Mutter nie gesehen hat und ursprünglich Willi Mosimann hieß, nahm den Familiennamen seiner Pflegeeltern an.

Nicht zu vergessen: Marie Laeng war zu einer Zeit äußerst begabt, zielstrebig und mutig, als man Frauen Führungseigenschaften grundsätzlich absprach. Als Kinder aus armen Familien kaum Chance auf eine gute Schulbildung und Frauen kaum Rechte hatten. Kein Recht auf Selbstbestimmung, kein Recht auf eigenständigen Erwerb und schon gar nicht auf politische Mitbestimmung. Das allgemeine Frauenstimmrecht wurde in der Schweiz erst 1971 eingeführt.

Erstaunlich, dass Marie unter diesen widrigen Umständen brillierte und ein außergewöhnliches Lebenswerk hinterließ.

Lenco im Museum

Heute findet die Lenco AG als Bestandteil der regionalen Industriegeschichte ihren Platz im Museum Schloss Burgdorf. Natürlich ist dort auch das erfolgreichste Produkt, der Plattenspieler Lenco L 75, ausgestellt.

Das trutzige Schloss Burgdorf mit seinem einzigartigen Ambiente: Museum, Restaurant, Jugendherberge und Event-Location ©Museum Schloss Burgdorf, Dyle Berger

Eine kurze Erzählung der Unternehmensgeschichte fokussiert auf das schnelle Ende der Firma in der Wirtschaftskrise der späten 1970er Jahre – wegen harter Konkurrenz durch Billigprodukte aus Asien. Im Ausstellungsraum „Macherinnen“ ist Marie Laeng eines der 70 Frauenportraits gewidmet.

Ein Großteil der Fotos in diesem Beitrag entstammt der Museumszeitschrift – Dank für die Erlaubnis zur Übernahme an Daniel Furter, Laura Gargiulo, Verena Menz und Tamara Suter.

Die Schlossschrift mit dem Titel „Lenco – die Burgdorfer Plattenspieler-Legende“ kann als PDF von der Homepage des Schlosses heruntergeladen werden:

https://schloss-burgdorf.ch/wp-content/uploads/2024/08/Schlossschrift-4_Lenco_web.pdf