Mein Gönner Karl Gerhard Baur

Die in einem älteren Beitrag (April 2021) erzählte Geschichte über die Rettung eines makellosen Thorens TD 124 vor dem Sperrmüll hat für mich auch eine bedrückende Seite.

Dr. Karl Gerhard Baur mit seinen Thorens-Plattenspielern TD 124 und TD 125 in seinem Heim in Ludwigshafen – zirka 1970

Hin- und wieder war ich bei meinem generösen Tippgeber Dr. Karl Gerhard Baur und seiner liebenswürdigen Frau Gudrun zu Gast. Kennen gelernt hatten wir uns über einen Hinweis auf mein Buch SCHWEIZER PRÄZISION, den der Chemiker in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung entdeckte. Als Besitzer des Thorens TD 124 seit 1963 war die sofortige Bestellung meines Werkes – im Jahr 2005 noch die erste Auflage – für den Ludwigshafener ein Muss.

Tochter Vera erinnert sich noch an den Stellenwert der beiden oben abgebildeten Plattenspieler als Mittelpunkt des Familienlebens: „Das waren die heiligen Geräte, auf denen Kinderschallplatten nur unter Aufsicht abgespielt werden durften.“

Über die Jahre entwickelte sich zwischen uns beiden ein lockeres, freundschaftliches Verhältnis. Wir tauschten uns über viele Themen rund um unseren Lieblingsplattenspieler aus – und genossen am Kaffeetisch in Ludwigshafen den köstlichen Apfelkuchen, den Baur immer aus einer ganz bestimmten Bäckerei besorgte. Seinen persönlichen Werdegang zu einem der ersten HiFi-Enthusiasten im Westdeutschland der frühen 1960er Jahre und die Einbindung der ganzen Familie in sein glühendes Hobby habe ich in Band 2 der dritten Auflage zu einem kleinen Feature verarbeitet.

Der Musikliebhaber betrieb inzwischen einen Thorens TD 126 in seiner HiFi-Anlage, verriet mir aber, wo sein alter TD 124 abgeblieben sein könnte. Den hatte er nämlich vor vielen Jahren einem Arbeitskollegen verkauft. Baur gab mir dessen Telefonnummer in Heppenheim – die tatsächlich noch stimmte.

Am Telefon erfuhr ich, dass der ehemalige Kollege den Plattenspieler mit Werkstonarm BTD-12 S sogar noch besitzt! Zwar nicht mehr in Betrieb, aber sorgfältig verpackt und eingelagert. Der Mann am anderen Ende der Leitung schien auch nicht abgeneigt, das Gut in seiner Garage zu veräußern – „aber 100 Euro will ich schon noch dafür haben“.

Jetzt wissen Sie schon, was ich gemacht habe. Anderntags holte ich den Plattenspieler gegen den grünen Schein an der Bergstraße ab und informierte einen Buchkunden und TD-124-Interessenten auf meiner „Warteliste“ über den Neuzugang. Der war froh über die Nachricht und übernahm den Thorens TD 124 der ersten Serie sofort. Dieser Spieler war natürlich nicht, wie das Exemplar aus der Pfälzer Villa, praktisch neu, sondern – wie man es von Baur nicht anders erwarten konnte – viel benutzt, aber stets penibel gepflegt und bestens erhalten.

Nach der Revision durch Peter Feldmann, dem Einbau des Laufwerks in eine lange „Maxplank“-Zarge des englischen Spezialisten Dr. Martin Bastin und der Bestückung mit einem SME-Tonarm 3012-R aus meinem Bestand ist der cremefarbene Thorens von Dr. Baur jetzt der Traumplattenspieler eines Siemens-Ingenieurs aus der Oberpfalz.

Der Thorens TD 124 von Karl Gerhard Baur – heute in langer Maxplank-Zarge mit Tonarm SME 3012-R. In Amberg hat er seinen neuen Platz gefunden

Telewatt Ultra, Acoustic Research, Klein + Hummel

Karl Gerhard Baur war immer sehr besorgt, dass seine nicht mehr genutzten HiFi-Geräte noch in kundige, wertschätzende Hände kämen – und sah auch da in mir den richtigen Adressaten.

Zunächst diente der Gönner mir seine beiden Telewatt-Ultra-Röhrenverstärker in Mono mit Leistungsröhren EL 34 an. Mit unvorstellbaren 40 Watt Dauerton war der „Ultra“ ab 1957 der kräftigste deutsche Verstärker im Heimbereich. Die beiden sehr gut erhaltenen, restaurierten Geräte besitze ich heute noch – sorgfältig eingelagert, in SCHWEIZER PRÄZISION abgebildet und gelegentlich an meine Anlage angeschlossen.

Telewatt Ultra von Klein + Hummel, Baujahr 1957 – 1961. Der Mono-Vollverstärker bietet die Wahl unter fünf verschiedenen Phono-Entzerrungen

Als nächsten Schatz vermachte mir Baur seine Lautsprecher Acoustic Research AR 3a, deren Klang er immer so liebte. Bei einem Exemplar war leider die Frequenzweiche defekt, bei der anderen eine Sicke gerissen. Da ich selbst gute Tannoy-Boxen – damals die D 700 – besaß und für die sperrigen und etwas angeschrammelten AR ohnehin keinen Platz hatte, fuhr ich die beiden Kästen nach einigem Zögern, ja, auf den Sperrmüll.

Damals wusste ich nicht, dass man das alles reparieren kann und man sich im Online-Auktionshaus um diese berühmten Modelle selbst in dem mir übergebenen Zustand geprügelt hätte.

Gudrun Baur am Vollverstärker Klein + Hummel ES 707. Auf dem Sideboard der Thorens TD 124 des Hausherrn – hier schon anstelle des ursprünglichen Werkstonarms BTD-12 S mit einen SME 3009/II aufgewertet

Als nicht restaurierbar stellte sich dagegen der mir ebenfalls anvertraute Nachfolger der beiden Telewatt Ultra im Hause Baur heraus – ein stattlicher, 2 x 90 Watt Dauerton leistender Transistorverstärker Klein + Hummel ES 707 mit den Anfang der 1970er Jahre modernen Flachbahnreglern.

Den ES 707 nahm ich nicht mit nach Hause, sondern brachte ihn zur Revision gleich zu Roger Weber von der Fachwerkstatt Audiotronic ins nahe Heidelberg. Nach einigen Tagen rief mich der viel beschäftigte Rundfunk- und Fernsehtechnikermeister an und teilte mir mit, dass da leider nichts zu machen wäre. Für den Boliden, so wie er ist, fand ich aber in der Nähe von Paris noch einen Abnehmer.

Baurs höchstes Glück bedeutete es schließlich, dass ich für die Siemens-Kammermusiktruhe aus Vorkriegszeit, die er als Andenken an seinen ebenfalls musikbegeisterten Vater aufbewahrte, noch einen dankbaren Interessenten fand. Ein Kenner und Liebhaber im Rentenalter aus Mecklenburg-Vorpommern nahm sogar die 750 Kilometer auf sich, um das wuchtige Erbstück, dem man schon Ende der 1930er Jahre HiFi-Qualität zuschrieb, bei ihm persönlich abzuholen.

Nur die beiden hochwertigen Telefunken-Plattenspieler im Keller seines Hauses in Friesenheim, Baujahr 1951 und noch mit Stahlnadel-Tonabnehmer, wollte man selbst im Schwarzwald beim Deutschen Phonomuseum in Sankt Georgen nicht haben.

Autor renommierter Fachbücher

Karl Gerhard Baur wurde 1935 in Ludwigshafen am Rhein geboren, wo er aufwuchs und seine Kindheit verbrachte. Der Chemiker war nicht nur leidenschaftlicher Musik- und HiFi-Liebhaber, sondern auch Autor anspruchsvoller Fachbücher über Eisenbahntechnik.

Seine Begeisterung für Lokomotiven entwickelte sich bereits in früher Kindheit. Schon als Student der Chemie begann er mit der Eisenbahnfotografie, wo er rasch zu seinem unverwechselbaren Aufnahmestil fand. Der Eisenbahnfan legte großen Wert auf hochwertige Aufnahmen mit Stativ und teuren Spezialfilmen.

Nach der Promotion in Freiburg arbeitete Baur 34 Jahre für die BASF in der Forschung. Seit 1998 im Ruhestand, verfasste er unter dem Kürzel „KGB“ – so das mit seinem unnachahmlichen Humor vorgetragene, doppeldeutige Autorenkürzel („Ich bin der KGB“) – zahlreiche Fachartikel im Eisenbahn-Kurier. Es folgte eine Reihe hochrangiger Bücher über moderne elektrische Triebfahrzeuge.

Bei seinen Werken über Drehstrom-Lokomotiven
kamen dem Autor exzellente Kontakte zur Bahnindustrie
zugute.
Baur wusste selbst hochrangige
Persönlichkeiten der Hersteller
für seine Arbeit zu
begeistern und von ihnen die nötige
Unterstützung zu erhalten. Seine Bücher genießen nicht unter Lokfans, sondern auch in der Fachwelt einen ausgezeichneten Ruf und gelten als Standardwerke der Eisenbahnliteratur

Vor einiger Zeit erfuhr ich nun über seinen Verlag, dass Karl Gerhard Baur bereits vor zwei Jahren, am 1. Juli 2020, im Alter von 85 Jahren gestorben ist.

Als persönlichstes Buch gilt Baurs Bildband „Meine schönsten Eisenbahnbilder“ mit Motiven aus seiner frühen Zeit als Eisenbahnfotograf. Das letzte große Buchprojekt war einer technisch höchst bedeutsamen Drehstromlokomotive gewidmet – der Baureihe 120 der Deutschen Bahn, die auf dem obigen Buchtitel abgebildet ist.

Ich selbst erinnere mich noch gut an eine Bahnfahrt am Ende der 1980er Jahre mit der damals brandneuen „120“, die auf der Neubaustrecke Würzburg – Fulda ihr Können zeigte und den schweren Eurocity-Express mit 180 Km/h durch die zahlreichen Tunnel zog. Dem technische Vermächtnis der Erfinder und Konstrukteure dieser eindrucksvollen Lok hat der Autor einen Doppelband gewidmet.

Karl Gerhard Baur im Herbst seiner Lebensjahre auf einer Wanderung im Pfälzer Wald

Der Gönner und Besitzer aller meiner Buchausgaben liebte zeitlebens die klassische Musik. Und wie ihn diese Liebe bereits mit seinem Vater verbunden hat, so hat er sie auch an seine beiden Töchter weitergegeben. Sein Wissen, seine Großzügigkeit und seine Begeisterung für den TD 124 bleiben mir unvergessen.